Kloster und Bildung

Organisatoren
Jürgen Wilke
Ort
Ebstorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.03.2004 - 21.03.2004
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Von
Gudrun Gleba, Oldenburg

Den Rahmen für dieses viertägige Kolloquium konnte man sich nicht besser wünschen. Das niedersächsische Damenstift und ehemalige Benediktinerinnenkloster Ebstorf, eines der sog. Heideklöster, empfing die Fachwissenschaftler sowie zahlreiche interessierte Zuhörer der näheren und weiteren Umgebung in seinem renovierten Vortragssaal und bot dem engeren Kreis der Vortragenden in den Abendstunden darüber hinaus die Möglichkeit zu fachlichem und freundschaftlichem Austausch. Dank gebührt deshalb vor allem der Äbtissin sowie den Damen und Helferinnen von Ebstorf, desgleichen aber auch dem Organisator der Tagung, Dr. Jürgen Wilke (Max-Planck-Institut für Geschichte Göttingen, Germania Sacra) und den 24 Referentinnen und Referenten.
Monastische Kultur und die Kunst des Wissens, so der Titel des Eröffnungsvortrages (Kintzinger), bietet in Ebstorf mit seiner großformatigen "Weltkarte" mehreren Disziplinen eine zentrale Quelle für die Fragen mittelalterlicher, insbesondere klösterlicher Bildung. Entsprechend verteilten sich die Vorträge auf diese beiden Schwerpunkte.
Vorgestellt wurden die Bildungsinstitutionen der Klosterschulen sowie der klösterlichen Bibliotheken und ihrer Skriptorien mit ihren mehr oder weniger festen Curricula (Schlotheuber, Pätzold, Kruppa), die vor allem die Notwendigkeiten der Liturgie und der Kontemplation berücksichtigten. Die didaktischen Anstrengungen, um Lernziele zu erreichen, Erfolgskontrollen durchzuführen und Disziplinprobleme in den Griff zu bekommen (Frenz) sowie die besonderen Ausprägungen an einzelnen Orten (Vogtherr) waren weitere Aspekte dieses Themenkomplexes. Bruchstückhafte Überlieferungen und hohe Verluste (Härtel) erschweren jedoch Generalisierungen, die auf breite Detailuntersuchungen gründen und die ‚normale' Schule eines ‚durchschnittlichen' Klosters zeigen könnten. Entsprechend schwer fällt es, geschlechtsspezifische Ausrichtungen des Unterrichts aufzuzeigen, Lerninhalte nach Ordens- oder Kongregationszugehörigkeit zu bestimmen oder die Interessen einzelner Äbte und Bibliothekare aufzuspüren. Die Organisation des Wissenserwerbs und der Wissensverbreitung durch verschiedene Medien, u.a. durch Bilder, zeigte Beispiele für den Transfer gelernten Wissens (Wolter-von dem Knesebeck). In vielen Frauenklöstern lassen sich ‚Schulen textiler Kunst' als Parallele zu Schreibschulen finden (Kohwagner-Nikolai), in denen der Unterricht der Erbauung und Unterweisung diente ebenso wie die fertigen Erzeugnisse Ausweis für die kunsthandwerklichen Fähigkeiten und den Bildungsstand ihrer Produzentinnen waren. Doch: Unterschieden die Gelehrten, Lehrer und Schüler des Mittelalters überhaupt zwischen Erziehung, Wissensvermittlung und Bildung? Oder sind dies erst Überlegungen, die in der frühen Neuzeit entwickelt wurden?
Sicherlich kann man die Ebstorfer Weltkarte als eine Transferleistung besonderer Art auffassen. Selektiertes Buchwissen wurde als eine Bild-Text-Kombination in das Medium ‚Karte' übertragen. Auch während dieses Kolloquiums konnten sich Historiker und Kunsthistoriker, Paläographen und Sprachwissenschaftler in z.T. heftigem Schlagabtausch und mit guten Argumenten auf beiden Seiten nicht über die Urheberschaft bzw. die Entstehungszeit der Karte einigen. Für die zahlreichen vorgebrachten Details sollte man wohl besser und genauer die bereits vorliegenden Arbeiten der jeweiligen Referenten zu Rate ziehen oder auf die Beiträge in dem hoffentlich bald erscheinenden Tagungsband warten. Die Diskussionen bündelten sich in der oft gestellten Frage, ob denn nun Gervasius von Tilbury in seiner Funktion als Propst des Klosters wirklich als Schöpfer oder Ideengeber der Karte angesehen werden kann - und damit eine Entstehungszeit in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu vermuten wäre (Wolf) - oder ob nicht ganz andere Zusammenhänge eine Rolle gespielt haben könnten - die auch eine spätere Entstehung denkbar sein ließen (Wilke). Gervasius von Tilbury war zweifellos ein bedeutender Denker und Autor seiner Zeit, so dass seine Kenntnisse und Erkenntnisse ebenso wie die Informationen seiner Gewährsleute auf jeden Fall in das zeitgenössische und spätere Wissen eingegangen sind (Binns, Strzelczyck, Rothmann). Geht man aber davon aus, dass die Otia imperialia für die Erstellung der Karte nicht genutzt wurden, sondern Übereinstimmungen auf der Auswertung der gleichen Literatur beruhen, die von Gervasius in seiner Montagetechnik stärker verändert, in die Karte dagegen in genauerer Anlehnung an die benutzten Quellentexte eingebracht wurde, bedeutet das eine deutliche Absage an die Frühdatierung (Kugler). Doch da sind noch ganz andere Fragen rund um die Ebstorfer Weltkarte von Interesse, die Gervasius von Tilbury ja nicht ausschließen, sondern ihn als ‚Ideengeber', wenn auch nicht in räumlicher Nähe, durchaus einbeziehen - aber eben andere wie z.B. Isidor von Sevilla und Honorius Augustodunensis gleichfalls berücksichtigen (von den Brincken, Hucker). So bietet das Verhältnis zwischen Texten und Bildern innerhalb der Karte noch manche neue Einsicht, und es stellt sich weiterhin die Frage inwieweit das eine Medium in seinen Aussagemöglichkeiten jeweils über das andere hinausgeht (Chr. Ungruh, R. Walter)? Welche Begründungen z.B., abgesehen von Herrschaftsbezügen, die eine plausible Erklärung für die Auswahl der dargestellten Orte abgeben, lassen sich für die getroffene Selektion an Informationen über bestehende Herrschaftsbezüge hinaus finden und warum fehlen andere Informationen, zu denen man Zugang hatte? Die mittelalterlichen Kartographen stellten bestimmte geographisch existente und/oder gedachte Orte in errechenbare räumliche Zusammenhänge (Englisch). Nun sollte man im Anschluss daran gehen, die Begründungen für ihre Auswahl zu suchen. Fündig würde man da wohl in historiographischen und theologischen Werken. Die Motive der Karte lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen (Bauer, Wolter). Ein Vergleich mit ähnlichen oder gleichen Motiven in anderen Medien und Kontexten böte vielleicht noch neue Erkenntnisse über die Vor- bzw. Rezeptionsgeschichte des Kartenmaterials, d.h. auch über seine Einbindung in den Wissenskanon und die gemeinsamen Vorstellungen über die Welt im hohen Mittelalter (Westrem). Und schließlich: Das Wissen um die Ebstorfer Weltkarte sollte nicht nur über detaillierte Spezialliteratur den Fachwissenschaftlern zugänglich sein, sondern auch mit Hilfe der neuen Medien weiteren Interessierten offen stehen (Warnke). Die Umsetzung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse (und Fragen) für eine breitere Öffentlichkeit ist keine ganz leichte, aber gewiss doch lohnenswerte Aufgabe. Denn dann ließe sich vielleicht auch an einem besonders eindrücklichen Beispiel die Neugier auf die Ergebnisse fächerübergreifenden, kulturwissenschaftlichen Forschens wecken?!
Die Verbindung zwischen klösterlichem (und stiftischem) Leben und Bildung blieb über das Mittelalter hinaus bestehen (Mager, Hesse) und eröffnet noch heute, wie es das Kolloquium gezeigt hat, ein breites Untersuchungsfeld, das weit über die Institution ‚Kloster' hinausreicht.


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